Peter Nolte ist Lymphologe und betreut in seiner Schwerpunktpraxis rund 100 Neupatienten im Jahr. Häufig hat er Frauen – und manchmal auch Männer oder sogar Kinder – im Behandlungszimmer sitzen, die schon viele Jahre unter schweren Beinen oder dicken Füßen leiden. Die Diagnose Lymphödem hat bis dahin aber noch kein Arzt gestellt. Wir haben mit Peter Nolte darüber gesprochen, warum Lymphödeme oft erst spät entdeckt werden und welcher Therapieansatz am meisten Erfolg verspricht.
Geschwollene Beine und Füße: Ursachen auf den Grund gehen
Redaktion: Geschwollene Beine und Füße verbunden mit druckempfindlicher Haut deuten auf eine ernste Erkrankung hin. Trotzdem werden Betroffene oft als übergewichtig abgestempelt. Warum bleibt ein Lymphödem häufig lange Zeit unerkannt?
Peter Nolte: Weil in den meisten Praxen ein enormer Zeitdruck herrscht, können viele Ärzte den Ursachen nicht direkt auf den Grund gehen. Ich nehme aber auch weitverbreitetes Nichtwissen über die Erkrankung Lymphödem wahr. Da wird dann nicht gefragt „Warum hat sie dicke Füße?“, sondern es werden zu schnell Therapien verordnet. Häufig wird bei den Patientinnen eine Herz- oder Niereninsuffizienz vermutet und eine Entwässerungstherapie begonnen. Das ist aber der völlig falsche Weg!
Redaktion: Wenn Ödeme in den Beinen also lange nicht erkannt werden, welchen Weg haben die Patientinnen dann schon hinter sich, bevor sie zu Ihnen in die Praxis kommen?
Peter Nolte: Die meisten von ihnen haben leider viele Erfahrungen mit Diäten gemacht. „Sie haben dicke Beine? Dann müssen Sie abnehmen“ heißt es oft als erstes. Diese Vorverurteilung findet sehr häufig statt. In der Regel haben die Betroffenen schon zehn bis zwanzig Ärzte aufgesucht, bevor sie zu mir kommen.
Lymphödem Diagnose durch Spezialisten
Redaktion: Was bringt sie denn nach dieser Vorgeschichte überhaupt noch dazu, einen weiteren Arzt – also Sie – zu konsultieren?
Peter Nolte: Der Leidensdruck wird immer größer. Schmerzen und Unbeweglichkeit nehmen zu. Auch Dellen in der Haut und ein permanentes Spannungsgefühl in den Beinen sind störend. Das geht ja so weit, dass manch eine Betroffene ans Haus gefesselt ist. Und natürlich haben sie sich mittlerweile im Internet informiert und ahnen, dass sie unter einem Lymphödem leiden könnten.
Redaktion: Und was tun sie dann?
Peter Nolte: Ich begreife die Erkrankung – im wahrsten Sinne des Wortes, denn: Ich ertaste das Lymphödem. Darauf sollten alle Betroffenen achten. Um eine sichere Diagnose stellen zu können, müssen Ärzte den kompletten Körper auf Ödeme hin untersuchen. Das ist wichtig. Und danach frage ich die Patientinnen, was sie sich wünschen. Viele möchten eine Lymphdrainage – vielleicht auch, weil die Maßnahme im Internet so präsent ist. Dabei ist die Lymphdrainage lediglich eine Unterstützung, damit Lymphflüssigkeit abfließen kann. Sie ist keine Therapie. Und ohne anschließende Kompression ohnehin völlig sinnlos.
Die Lymphdrainage allein ist noch keine Therapie. Und ohne anschließende Kompression ohnehin völlig sinnlos.
Peter Nolte
Arzt für Allgemeinmedizin / Lymphologie
Lymphödem Therapie: Die fünf Säulen der KPE
Redaktion: Wenn es die Lymphdrainage allein nicht bringt, was schlagen Sie stattdessen vor?
Peter Nolte: Die wirksamste Therapie ist die Komplexe Physikalische Entstauungstherapie mit ihren fünf Säulen Kompression, Lymphdrainage, Selbstmanagement, Bewegung und Körperpflege. Am allerwichtigsten ist dabei die Kompression, denn es handelt sich gewissermaßen um eine mechanische Krankheit. Wenn sich die Lymphe im Gewebe sammelt, hilft permanenter Druck von außen, um sie besser abfließen zu lassen. Und keine Drainage oder Tabletten. Mindestens genauso wichtig wie Kompression ist zudem ein hohes Maß an Motivation seitens der Betroffenen.
Redaktion: Warum?
Peter Nolte: Weil sie ihr ganzes Leben lang diese Therapie durchhalten müssen, ansonsten nehmen die Ödeme an Füßen, Händen, Armen oder Beinen wieder zu. Weniger Schmerzen und schlankere Beine oder Arme erhält nur, wer sich diszipliniert und die Therapie in seinen Alltag integriert. Dafür brauchen die Patientinnen Durchhaltewillen und vor allem den festen Vorsatz, wirklich etwas verändern zu wollen in ihrem Leben.
Redaktion: Das klingt sehr herausfordernd.
Peter Nolte: Ist es auch. Aber die Mühe wird belohnt: Nach vier Wochen intensiver Behandlung zeigen sich in der Regel erste Erfolge. Als erstes verschwinden die Schmerzen – das ist doch schon mal was!
Redaktion: Wenn Ihren Patientinnen doch einmal die Zuversicht fehlt, wie motivieren Sie sie?
Peter Nolte: Am Anfang schließe ich mit jeder von ihnen einen Behandlungsvertrag ab und wir halten ein Behandlungsziel fest. Einige von Ihnen wünschen sich zum Beispiel, mal wieder kniehohe Stiefel tragen zu können. Dann schreiben wir als Ziel auf: Ich möchte, dass meine Beine so schlank werden, dass ich Stiefel tragen kann. Und das schönste ist dann, wenn die Patientinnen irgendwann mal mit Stiefeln in die Praxis kommen und sagen: „Sehen Sie, ich habe es geschafft!“
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